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Verbotene Kunst & verbotene Lebensformen
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St.Petersburg
«Pas de Deux» so nennt sich das Pojekt zu dem drei Zeichner aus Russland und vier aus der Schweiz eingeladen sind, sich für einen interkulturellen Austausch zu treffen. Es ist eine Kooperation von Fumetto Comic-Festival, Strapazin, Boomfest und wird unterstützt von Pro Helvetia. Die erste Etappe findet in St.Petersburg am Boom Comic-Festival statt. Es geht darum, sich kennen zu lernen und sich im Tandem auf ein Thema zu einigen. Die Ergebnisse werden als Ausstellung am Fumetto im März 2015 präsentiert, danach am Boomfest im September in St. Petersburg. Zudem publiziert Strapazin zwei Heftausgaben. Eines im Sinne eines Ausstellungskataloges, ein zweites zum Boomfest in Russischer Sprache.
Meine Partnerin ist Viktoria Lomasko aus Moskau. Sie arbeitet als Reportage-Zeichnerin und hat unter anderem die Gerichts-Prozesse verbotene Kunst und Pussy Riot zeichnerisch begleitet und sie so in die Welt hinausgetragen. Wer aufmerksam Milo Raus Film über die Moskauer Prozesse im Kinok geschaut hat, konnte sie dort Zeichenstift und Skizzenbuch entdecken. Unser erstes Treffen, im Frühstückskeller des Hotels gestaltet sich nicht ganz einfach. Zum einen sprichst sie nicht so viel Englisch und zum andern spüre ich auch ihre sture Art, die mir allerdings der Lebensbedingungen hier angepasst erscheint. Sie ist mit einem ganz bestimmten Ziel nach St.Petersburg gekommen. Sie will ans Queer-Festival das ebenfalls gerade läuft um in der LGBT-Bewegung (lesbian gay bisexual transgender) Recherchematerial zu sammeln. Mir bleibt nicht viel anderes übrig, als mich diesem Thema anzuschliessen und ehrlich gesagt, hätte mich auch nichts anderes so brennend interessiert. Von Vika bekomme ich den Kontakt zu Gulya Sultanova, Aktivistin in der LGBT-Bewegung und Organisatorin vom Side by Side Filmfestival.. Schnell isst sie noch mehr gebratene Kartoffeln und verschwindet dann mit knappem Gruss.
Zusammen mit Jana Jakoubek, der Art-Direktorin des Fumetto, suche ich Gulyas Büro auf. Wir sind nur kurz da, ständig läuten Telefone und Leute kommen herein für kurze Mitteilungen. Das Queer-Festival wurde von rechter Seite schon zu Beginn gestört und attackiert. Seit 2013 das neue Gesetz gegen schwule Propaganda - das Homosexualität aus der Öffentlichkeit verbannen will, verabschiedet wurde, machen Witaly Milonovs Leute und klerikale Gruppen keinen Hehl aus ihrem gewalttätigen Vorgehen. Die Eröffnung des Festivals wurde mit einem fiktiven Bobenalarm unterbrochen. Sicherheitsleute und Polizei haben die friedlichen Veranstaltungsbesucher in Räume gedrängt und mit Gas herumgesprüht. Viele mussten sich übergeben. Ab jetzt wird nur noch per sms über Ort und Zeit zukünftiger Veranstaltungen informiert. Trotzdem ist es ein sehr herzliches Treffen mit Gulya, die eine unglaublich optimistische Kämpferin ist. Ob ihr eigenes queeres Film-Festival, auf russisch Bok o Bok zu deutsch Hüfte an Hüfte, im November statt finden wird, ist jetzt noch ungewiss.
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Fuck the religion! Fuck the police! Fuck everything!
Ich besuche erst mal wieder Comicausstellungen auf denen ich mich etwas zurück in meiner Welt finde. Dabei laufe ich mir die Füsse platt in dieser riesigen Stadt. Zur Manifesta, eine europäische Biennale für zeitgenössische Kunst, schaffe ich es auch. Da bin ich aber enttäuscht über die Absperrung zu Maria Lassnigs Ausstellung. Wundern tut mich das nicht, die provokativen Malereien der Wiener Künstlerin sind wohl der Zensur zum Opfer gefallen. Ich bekomme eine Sms und suche danach den Ort der queeren Lesung auf. Vor dem Gebäude ist schon eine Einsatzgruppe der Polizei und der Eingang ist flankiert von fiesen Typen in schwarzen Anzügen. Ich rede mir gut zu und gehe rein. Im Saal ist eine aufgeregte und fröhliche Atmosphäre. Die bunte Menge an Leuten steckt mich an mit ihrer Aufbruchsstimmung. Eine Autorin hält eine mindestens stündige Rede, auf Russisch! Ich verstehe natürlich kein Wort, aber ihre Intensität und expressive Rede erreichen auch mich. Zum Glück hab ich mein Skizzenbuch dabei. Vika ist nicht da. Sie treffe ich erst wieder am nächsten Morgen beim Frühstück. Ich habe mich um ein paar Worte auf Russisch bemüht und sie freut sich, dass ich die Lesung besucht habe. Das Eis scheint angebrochen. Am Abend besuche ich eine Diskussion über Kunst und Zensur. Manifestaveranstalter, Queerleute, Künstler und auch Vika sind da in einer Runde. Zufällig sitzt eine Deutsche Übersetzerin hinter mir, so bekomme ich diesmal einiges mit. Am Schluss tritt eine junge Frau auf die Bühne: „Ich habe ein Update zu machen. Draussen warten unsere Freunde, wir müssen zuerst abklären, was los ist. Bitte verlasst das Gebäude nur in Gruppen, das ist eine Überlebensstrategie.“ Sie sagt das mit einem Lachen im Gesicht.
An diesem Abend gehe ich mit Vika und ihren Freunden zum Essen in eine der vielen Kantinen. Weitere Aktivistinnen aus Moskau sind angereist. Sie erzählen mir von Auseinandersetzungen innerhalb linker Gruppierungen an der Friedensdemo für die Ukraine in Moskau. Es gibt so vieles, das ich hier nicht verstehe. Ich bin froh und beschämt, dass ich in der Schweiz lebe. Später gehen wir in den Infinity Club. Mit Konzerten und DJs ist das der Höhepunkt des Queerfestivals. „W zhopu religiju! W zhopu poliziu! W zhopu wsjo! Fuck the religion! Fuck the police! Fuck everything!“ So eröffnet die zweite Band ihre Vorstellung. Klar sind auch hier wieder die unangenehmen Aufpasser in allen Ecken. Davon lassen wir uns nicht stören, vorerst. Wika und ich zeichnen gemeinsam auf der Tanzfläche in unsere Skizzenbücher was um uns herum passiert. Das habe ich so noch nie gemacht. Spasibo Vika.
Ich tauche dann doch nochmal am Boom auf. Einige interessante Comic-Lesungen sind angesagt. Aisha Franz buche ich gleich für’s Wortlaut. Mit Dima, Dimitry Yakolev dem Kurator des Boom-Festivals rede ich über die Ausstellung in einem Jahr. Er meint, dass er keine Lust hat, sich der Zensur zu beugen. Im Notfall müsse man gross 18+ (es ist verboten für unter18jährige die Veranstaltung zu besuchen) überall hin kleben. Klar ist, auch seine Arbeit und das Boom-Festival sind bedroht.
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